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Zehn Jahre im Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten - Rumänien Oktober 2019

Ein Bericht von Nina Schöllhorn, Tierärztin

Zehn Jahre ist es her, dass ich mich zum ersten Mal auf den Weg nach Rumänien machte. Voll Neugier, voll Sorge, mit einem Kopf voll Schreckensbilder, die ich aus den Medien kannte und vor allen Dingen voller Tatendrang! Ich stand am Anfang meiner „Tierarztkarriere“, hatte gerade zwei Jahre in einer deutschen Klinik hinter mich gebracht, wusste, dass dies nicht meine Welt war und wollte nun endlich das tun, wofür ich Tiermedizin studiert hatte. Ich begleitete also Ines Leeuw und Thomas Busch auf einen Kastrationseinsatz nach Miercurea Ciuc, Brasov und Bals.
Wenn ich damals geahnt hätte, wie sich mit diesem Einsatz mein Leben ändern würde!
Ich betrat also ein Land, das sehr fremd auf mich wirkte und durchaus auch bedrohlich. Mein Blick war gänzlich von dem Hundeelend gefangen, dass mir auf Schritt und Tritt begegnete. Erschütternde Zustände in den Auffanglagern, allgemein eine traurige Situation der Straßenhunde, insgesamt eine Masse an Hunden in elender Verfassung, wie sie mir noch nie zuvor begegnet war. Ich war vom ersten Moment an gefangen genommen von dem Gefühl gebraucht zu werden. Genau hier, genau in dieser Arbeit fand ich den Sinn, den ich für mein Leben und Arbeiten gesucht hatte!

 

 

Es waren sehr harte, lange Tage, es war kalt, die Unterkünfte von Luxus weit entfernt, das Essen eher mässig, ich war übersäht von Flohstichen und jeden Abend so erschöpft, dass ich nicht mehr stehen konnte. Selbst in meinen Träumen operierte ich weiter! Und trotz alle dem wusste ich: das ist es, was ich machen will!
Als Ines gegen Ende des Einsatzes bemerkte, dass sie selbst wegen vielerlei Gründen kaum noch Zeit hatte, weiter die Einsätze in Rumänien voranzutreiben und ob ich das nicht ab jetzt gerne übernehmen würde, gab es kein Zögern: ja, ich wollte!

Warum nur, habe ich mich seit dem dutzende Male gefragt und noch wesentlich öfter wurde die Frage von anderen an mich herangetragen. Warum ausgerechnet dieses Land? Es gibt doch wesentlich schönere Länder, wie zum Beispiel Griechenland, Spanien, die Dominikanische Republik und viele mehr, wo man auch Gutes tun könnte...

Letztlich war es die zutiefst erschütternde Situation der Hunde, das Elend, das so unfassbar groß war, dass es mir unmöglich war, weiter zu leben in dem Wissen um diese Zustände ohne alles mir Menschenmögliche zu unternehmen, um etwas zum Guten zu bewegen. Recht schnell lernte ich die robusten, ursprünglichen Hundetypen lieben. Viele nicht unbedingt zugänglich, eher etwas verschroben und definitiv mit eigenem Charakter. Fasziniert war ich von ihrem ausgeprägten Kommunikationsvermögen, ihrer sehr deutlichen Körpersprache und ihrer Bereitschaft auch mit uns Menschen zu kommunizieren. Respektvoll und mit Geduld fanden wir so manches Mal doch zu einander. Es war sehr schnell klar, dass diese Hunde Überlebenskünstler sind, die ihre guten Gründe für ihr Misstrauen haben. Sie sind intelligent und gewitzt und sehr hart im Nehmen. Ich fing an sie zu bewundern, sie so zu nehmen und sein zu lassen wie sie sind. Bis heute verbindet mich ein tiefes Gefühl des Respekts mit diesen Hunden. Eine Art Einvernehmen, ein unausgesprochenes Versprechen, das ich stets gebe was in meiner Macht steht, um ihnen zu helfen.

Es folgten Jahre, in denen es immer öfter nach Rumänien ging, es kamen immer neue Einsatzorte hinzu, immer mehr Vereine baten um Hilfe. Die Einsätze wurden immer länger. Ich hatte mich festgebissen.
Wir arbeiteten in Tierheimen, Auffanglagern, Tötungen, Tierarztpraxen. Mit großen Tierschutzvereinen, mit privaten Tierschützern und mit rumänischen Kollegen. Ich knüpfte mehr und mehr Kontakte, es entstand ein Netzwerk. Immer mehr Unterstützung bekam unsere Arbeit aus Deutschland und immer mehr Einzelpersonen brachten sich dort ein, so dass ich regelrecht eine Mauer der Solidarität im Rücken spürte, wenn ich unterwegs war. Egal welche Form der Hilfe ich plötzlich brauchte, ich bekam sie. Pflegestellen fanden sich, wenn ich sie dringend benötigte, Fahrtketten bildeten sich auf wundersame Weise, aufwändige Operationen für Schwerverletzte konnten dank treuer Spender finanziert werden. Viele Sachspenden wurden gesammelt, so dass mein Kangoo bald aus allen Nähten platzte und ich nur noch mit dem großen, von TASSO e.V. geschenkten, Transporter losziehen konnte. Es sind so viele tolle und mir sehr wertvolle Kontakte entstanden über all die Jahre! Besonders freue ich mich, dass gerade Bande aus der Anfangszeit heute noch immer bestehen.

Wir erlebten Hochs und Tiefs. Es fühlte sich oft an, als ob wir weit mehr Tiefschläge einstecken mussten als alles andere. Besonders die politischen Wellen, die auch massiv Einfluss auf die Hunde nahmen: Vernichtungs- und Hetzkampagnen, Negativberichterstattung der Medien, dramatische Zustände in Tierheimen über das ganze Land verteilt. Wie viele schlaflose Nächte ich verbrachte, wie viele zutiefst verzweifelte Momente ich erlebte und wie oft ich mir auch dachte, dass all dies einfach nicht auszuhalten sei. Doch nicht einmal gab es den Gedanken aufzugeben.

Irgendwann ertappte ich mich, wie ich lächelnd in den rumänischen Himmel blickte. Ich hatte ihn liebgewonnen. Seine Weite war in keinem anderen Land so zu finden. Die Wolkenbewegung war ganz besonders und wunderschön zu beobachten. Auf einmal gab es nicht mehr nur Elend, grau in grau, Kälte und Traurigkeit. Langsam klärte sich über die Jahre mein Blick. Ich nahm Rumänien als Ganzes war. Seine wunderschöne Landschaft und seine Natur. Seine Geschichte, Tradition, ja seine Menschen. Ich wurde mehr und mehr neugierig auf dies alles.

Wie leicht ist es über ein Land und seine Menschen zu urteilen, ohne es zu kennen!
Wir sollten uns davor hüten. Je mehr ich Einblicke bekam in das Leben hier, desto mehr begann ich zu verstehen. Jeden Tag lerne ich Neues über die Hintergründe und Zusammenhänge. Und je mehr ich verstehe, desto mehr kann ich mit den Menschen zusammen etwas bewegen, anstatt wie anfänglich oft gegen sie zu arbeiten.

Ich sehe jetzt ein wunderschönes, wertvolles Land, mit einzigartigen Menschen. Ja, das Land droht an seinen Problemen und seinem Tierelend zu ersticken und braucht unbedingt unsere Unterstützung. Doch ich sehe auch Potential. Ich sehe all die Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten und die, die mir nur in kurzen Momenten begegnen, die aber dennoch ein positives Gefühl hinterlassen.

Vor allen Dingen sehe ich, was sich in zehn Jahren verändert hat. Seien es die einzelnen Tierheime mit denen wir zusammenarbeiten, seien es die Zustände auf der Straße in den Städten, in denen wir regelmäßig kastrieren. Sei es die Tatsache, dass Hunde mehr und mehr Einzug in die Familien halten und man dies auch mehr und mehr im Alltag sieht. Keine Frage, es bewegt sich was in die richtige Richtung. Ja, es braucht Geduld und es ist noch ein langer Weg. Ja, auch jetzt noch begegnet mir jeden Tag viel Elend. Doch ich bin positiv gestimmt, dass wir den richtigen Weg gehen.

Ich bin mehr denn je davon überzeugt, dass es sich auszahlt an einem Ort soviel präsent zu sein wie möglich. Slatina ist das beste Beispiel hierfür. Anfangs hatten wir mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen. Mit die größte war es, die Menschen überhaupt von der Sinnhaftigkeit unseres Tuns zu überzeugen. Widerstand, aber vor allen Dingen auch absolutes Desinteresse, machten uns das Leben schwer. Nicht wenige Einsätze verbrachten wir selbst oftmals damit, Hunde einzufangen um genug Arbeit zu haben. Dies wäre heute unvorstellbar. Der Andrang während unserer Aktionen ist überwältigend. Jeden Morgen bilden sich Schlangen an unserer Rezeption. Das Thema Kastration ist akzeptiert, als sinnvoll und notwendig anerkannt und unsere Aktionen werden sehr gut angenommen.

Ich befinde mich in Sighisoara während ich diese Zeilen schreibe. Wenn ich zurück blicke, wie die Situation vor neun Jahren war, als ich die Stadt zum ersten Mal betrat, kann ich nur sagen, auch hier hat sich enorm viel verbessert. All die Menschen, die sich für die Tiere einsetzen haben Großes bewegt. Dies alles macht Mut, gemeinsam weiter zu machen. Jeder auf seine Weise, der eine mehr, der andere weniger. Der eine hier direkt an der Front, der andere von Zuhause in Deutschland aus. Ich möchte allen von Herzen danken, die ihren Teil dazu beigetragen haben, die Zustände zu ändern, nicht aufgeben und stets da sind für unsere vierbeinigen rumänischen Freunde. Ich sehe sie förmlich alle vor mir, die vielen, vielen Einzelschicksale der letzten zehn Jahre, für die wir gemeinsam gekämpft haben, deren Leben für uns so wertvoll war, dass wir alle zusammenhielten und oftmals Unmögliches schafften. Wie viele Leben haben wir in all den Jahren gerettet? Aus den schwierig-sten und auswegslosesten Situationen? Wie viele Familien haben wir glücklich gemacht, da wir sie mit einem unserer rumänischen Hunde zusammen gebracht haben? Wie vielen Hunden in Rumänien konnten wir helfen, durch medizinische Versorgung, Futter, durch eine Hundehütte oder natürlich durch die Kastration? Es sind zahllose!

Sie begegnen mir fast täglich - Hunde die unsere Tätowierung DF („Dein Freund“) bzw. unseren Ohrclip tragen. Jedesmal machen mich diese Begegnungen sehr glücklich, denn sie zeigen wie viel wir bereits geschafft haben!
Ich freue mich sehr auf das kommende Jahr. Viele Monate sind bereits geplant in Rumänien. Es gibt natürlich sehr, sehr viel zu tun, doch wir sind gut eingespielt an den verschiedenen Einsatzorten und arbeiten effektiver denn je.
Die Entwicklung von damals bis zu dem Punkt, an dem wir heute stehen, mitbegleitet und mitgestaltet zu haben, macht mich stolz. Sehr stolz!  Ich bin dankbar, hier gelandet zu sein und meine Arbeit tun zu dürfen.
Ich danke allen, die an unserer Seite sind und diese wertvolle und so dringend benötigte Hilfestellung für dieses Land ermöglichen. Für die Tiere und für die Menschen.
Eure Nina

Helfen

Der Förderverein Arche Noah Kreta e.V. ist ein tiermedizinisch orientierter Tierschutzverein, dessen Schwerpunkt die Kastration von Straßentieren ist. Das Team besteht aus mehreren Tierärztinnen und Helferinnen, die international Kastrationsaktionen durchführen.
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In vielen unserer Projekte werden regelmässig Helfer benötigt. Manchmal brauchen wir tiermedizinisch vorgebildete Unterstützung. Manchmal einfach Menschen, die die Tiere vor und nach der OP betreuen, Boxen waschen und anpacken, wo Hilfe benötigt wird. Wenn Ihr der Meinung seid, dass wir Euch kennenlernen sollten, sendet uns eine Email an   jobs@tieraerztepool.de.
Oft aber kann jeder einfach helfen - so zum Beispiel bei den Kastrationsprojekten auf Rhodos oder in Epanomi. Hier werden Leute benötigt, die Katzen vom und zum Fangort fahren, Fallen und Boxen reinigen usw.

In den Helfergruppen auf Facebook könnt Ihr Euch vernetzen:

  Flying Cats e.V. - Kastrationsprojekt Rhodos - Helfer

  ACE - Tiere in Not (Epanomi)

TierInsel Umut Evi e.V.: Kontaktaufnahme über tierinsel-tuerkei-vorstand@t-online.de