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Cernavoda August 2018

Ein Bericht von Violeta Dueñas Loza | Tierärztin

Bevor wir an einem Samstag Ende Juli 2018 zu unserem Pilotprojekt nach Rumänien losgefahren sind, wusste ich nichts über dieses Land fernab unserer westeuropäischen Wahrnehmung. Ich war aufgeregt und gespannt, was alles auf uns zukommen wird. Während wir die 1600km in unserem kleinen Transporter durch Österreich und Ungarn fuhren, las ich ein bisschen im Internet nach: Rechnerisch leben 20.000 Einwohner auf je 240 Quadratkilometer zusammen mit einem Luchs, drei Wölfen und sieben Braunbären. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir letzteres sehen, ist somit (leider aber auch glücklicherweise) eher gering... An einem Parkplatz studierte ich eine Anweisung, wie man man bei einem Angriff durch Bären reagieren soll.

Über die Anzahl der Arbeitspferde fand ich nichts Nennenswertes, nur die gigantische Zahl von 3,9 Millionen landwirtschaftlicher Betriebe, die größtenteils mit Fuhrwerken arbeiten. NGOs wie "Plantam Fapta Bune" kämpfen gegen den illegalen Holzschlag, 40% des Landes ist an ausländische Investoren verkauft und weiterhin werden staatliche Betriebe privatisiert. Ich entdeckte den Korruptionswahrnehmungsindex, der vor Italien und Griechenland liegt, und das 60.000 Hunde auf den Straßen von Bukarest leben. Eine Anreise von zwei Tagen erscheint lang, aber so hatten wir die Gelegenheit die unterschiedlichen Landschaften kennen zu lernen und uns langsam zu akklimatisieren - war es für mich doch die erste Reise nach Rumänien.

Zielsetzung

Ziel unseres Projektes war die Lebenssituation rumänischer Arbeitspferde zu verbessern. In strukturschwachen Regionen ist das Pferd noch das wichtigste Transportmittel als Zugtier für Wagen und Arbeitsgerät für die Landwirtschaft. Oft fehlen das Wissen und die finanziellen Mittel um eine adäquate Ausrüstung sowie einen funktionellen Hufbeschlag zu gewährleisten. Durch die vielfache Nutzung auf asphaltierten oder geschotterten Straßen ist meist ein Beschlag unumgänglich um die Hufe vor übermäßigem Abrieb sowie Prellungen des Hufbeins zu schützen. Das Brustgeschirr der Pferde zum Ziehen der Wagen ist zum Teil unpassend oder von mangelnder Qualität. Hierfür hatten wir sehr viele Sachspenden in Form von Halftern, Stricken, Trensen, Winterdecken uvm. erhalten, außerdem in Deutschland bereits Unmengen an Hufeisen mit Stollen vorbereitet und uns zwei Wochen aus unserem deutschen Berufsalltag freigenommen. Die Hauptaufgabe sahen wir in der Ausbildung und Schulung regionaler Hufbearbeiter und Hufschmiede. Gemeinsam wollten wir die Pferde beschlagen, unser Wissen übr die Hufbearbeitung nahebringen und somit kurzfristig einen funktionellen Beschlag sowie langfristig das Fachwissen, diesen pferdegerecht zu erneuern, hinterlassen.

Einsatz in Cernavoda

Die erste Woche arbeiteten wir im kleinen Dorf Rasova direkt an der Donau gemeinsam mit unserer rumänischen Kollegin, der Tierärztin Roxana Topor von "Save the Dogs", unserer lokalen Partnerorganisation. "Save the Dogs" betreibt ein sehr professionelles privates Katzen- und Hundetierheim mit Esel- und Pferdewaisenstallungen sowie einer Kastrationsklinik für Streuner.

Wir waren um die produktive Zusammenarbeit sehr dankbar, nicht nur um alles Fachvokabular der Hufschmiedekunst detailliert und exakt ins Rumänische zu übersetzten, auch kannte sie die Bewohner sowie deren Tiere und konnte deswegen auch in einem kleinem Rahmen weitere Bestandskontrollen von besonders tierschutzwidrigen Fällen durchführen.

Wilma und ihre Fliegenmaske

Wilma war eine unserer ersten Besucher. Sie hatte ihr rechtes Augenlicht bei einem Unfall verloren, jedoch verblieb die Tränendrüse in der leeren Augenhöhle zurück, sodass sie dauerhaft Ausfluss und damit Unmengen von Fliegen am Kopf hatte. Auch bedurften Ihre Hufe dringend einer Bearbeitung. Erfreulicherweise war ihr Besitzer überglücklich über unser Projekt und war hoch interessiert bei der Sache.

Jedes der von uns bearbeiteten Tiere wurde vor und nach dem Beschlag im Schritt und Trab zur Ganganalyse vorgeführt. Anfangs waren wir frustriert, da die Wagenpferde das Traben an der Hand nicht kennen, bald stellten wir aber fest, dass die Pferde angespannt im Wagen sehr gut im Schritt und Trab zu analysieren waren. Wir schauten uns noch die Stellung der Hufe an und freuten uns, jetzt auch praktisch loszulegen zu können.

Aber Wilma weigerte sich standhaft, ihren Huf herzugeben. Sie war es wahrscheinlich nicht gewohnt ihr Hufe aufzuheben, vermutlich muss sie das in ihrem Alltag einfach nie machen. Hufe auskratzen kennt hier niemand. Einer der rumänischen Hufpfleger fing an, wild an ihrem Bein zu zerren und rumänische Kommandos zu rufen. Ohne das erwünschte Resultat. Die blutsaugenden Hirschlausfliegen machten Wilma und uns verrückt. Wir stoppten den eifrigen Hufpfleger und rieben sie erstmal mit Fliegenmittel ein und zogen ihr eine Fliegendecke auf.

Sobald man die Hand hochnahm, zuckt sie noch zusammen. Dann baten wir alle Anwesenden, Pferde niemals anzuschreien oder gar zu schlagen.
Niemand kann in einer stressigen Umgebung gut arbeiten und ein Pferd, dass keinen Schmied kennt oder gegebenenfalls nur schlechte Erfahrung hat, braucht erst recht einfach ein bisschen Ruhe. Und Zuwendung. Geduldig erklärten unsere Hufschmiede ihre Arbeitsweise, angefangen beim pferdefreundlichen Umgang.

Wilma fasste Vertrauen, einige Minuten später schon entspannte sie sich, liess ihre Hufe bearbeiteten und genoss das Kraulen an den Ohren. Die ganze Zeit war sie anschließend darauf bedacht, alles richtig zu machen. Wir erklärten Wilmas Besitzer, warum er bitte die neue Fliegenmaske nutzen soll. Er blieb noch länger und schaute uns bei der Arbeit zu. Nach zwei Tagen kam er zufällig mit Wilma vorbei, er grüßte uns freudig und blieb für ein kleinen Plausch. Wilma trabte locker vor ihrem Wagen und trug stolz ihre Fliegenmaske. Wäre sie ein Pferd in Deutschland, hätten wir das kaputte Auge fachgerecht entfernt. Aber, wie so oft, konnten wir leider (noch) nicht alles ändern und hoffen, ihr trotzdem das Leben ein wenig leichter gemacht zu haben.

Das Pferd ohne Namen

Ich weiß nicht, ob Ihr sie kennt: Diese Momente, in denen einem das Herz stehen bleibt, in denen man nicht weiß, was man empfindet: Trauer, welch schweres Schicksal dieses Pferd ertragen muss, Wut über die Ignoranz und Brutalität seines "Besitzer", Ratlosigkeit wie man überhaupt mit dieser Situation umgehen soll? Der Schimmel war auch für hiesige Verhältnisse klein, zu dünn und stand mit gesenktem Kopf da, er bewegte die Augen kaum und fixierte nichts, stand einfach nur da mit seinem gebrochenen Blick. Das Geschirr passte natürlich nicht, große aufgeriebene Druckstellen an der Brust und an der Schulter waren ein gefundenes Fressen für die Fliegen. Die Vorderbeine waren aufgeritzt. Später beteuerte der Besitzer, das wäre ein Unfall gewesen, und nicht, wie sonst, die Hobbeln, die die beiden Vorderbeine fesseln um das Pferd beim Grasen am Weglaufen zu hindern. Koppeln existieren hier nicht. Die schonendste Methode sind Seile am Halfter, die an Metallpflöcke angebunden werden. Der Metalldraht im Maul hatte die Lefzen längst eingerissen, trotz bereits dickem Narbengewebe bluteten sie leicht. Der Besitzer war laut und gestikulierte wild. Vermutlich wollte er auch ein kostenloses Halfter abstauben. Oder einen neuen Beschlag.

Wir besprachen uns mit Roxana, auch sie war entsetzt über den schlimmen Zustand des Pferdes. Und sie hat schon viel gesehen. Aber egal, wie viel man schon gesehen hat und egal wie lang man arbeitet, es trifft auch sie jedesmal wieder ins Herz. Es war einer der seltenen Momente in dem sie laut schimpfend den Besitzer aufklärte, dass wir keine "Wunderheilung" bei durch Menschenhand verursachte Verletzungen vollbringen können, sondern die Ursachen der Verletzungen bekämpfen müssen. Wir statteten das Pferd neu aus, Roxana kündigte dem Besitzer eine Kontrolle an. Die ganze Zeit reagierte das Pferd ohne Namen nicht. Kein Streicheln oder etwas Futter auf der Hand konnte es aus der Lethargie holen.

War das der Preis zum Überleben? Ist das ein lebenswertes Leben? Dürfen wir das beurteilen? Heimlich spielte ich mit dem Gedanken, dieses eine Pferd "zu retten", Roxana zu überzeugen, dass wir es ins Pferdeheim mitnehmen müssen. Aber die Realität siegte. Dieser Mann wird sich wieder ein Pferd kaufen, weil er nun mal auf dessen Leistung angewiesen ist. Wir würden nur das Leiden eines Wesens mit dem eines anderen tauschen. Aber wie sollen wir diese Person ändern? Wie ihn dazu bringen, verantwortungsbewusst mit seinem Pferd ohne Namen umzugehen? Ich bekam einen regelrechten Hass auf die Menschheit. Gerade das Ausnützen eines anderen Wesens ist das "Menschliche" an uns. Diplomatisch versuchte ich sein Handeln mit seiner vermutlich schwierigen Lebenslage zu erklären. Ich schaffte es trotzdem nicht wirklich zu verzeihen, und hoffte inständig, dass das Pferd bald erlöst ist, egal wie. Und dass die nächste Generation es besser macht.

Und dass das Pferd ohne Namen uns verzeiht, mir verzeiht, nicht mehr getan zu haben. Ich fühlte mich leer und tatenlos. Eigentlich wie ein Schuldeingeständnis. Wie anders war meine Arbeit hier in Rumänien. Zuhause erkläre ich Patientenbesitzern die verschiedenen Operationsmethoden beim Kreuzbandriss beim Hund oder bei der Katze aber in diesem Land konnte ich manchmal nur Zeuge von soviel Ungerechtigkeit und Leid sein. Abends saßen wir müde und nachdenklich an der Donau und suchten Hoffnung. Idyllisch spannte sich der Sternenhimmel über uns auf und die Straßenhunde beobachteten uns neugierig.

Fohlenrettung in Constanza

Unsere rumänische Kollegin wurde angerufen, um ein Fohlen zu retten. Natürlich fuhren wir gerne mit und fanden ein wenige Wochen altes, ausgetrocknetes und ausgehungertes Fohlen verlassen auf einer Gemeindeweide. Einige Hautareale waren schon wundgerieben vom Liegen in feuchtem Untergrund. Die Nachbarn, die uns gerufen hatten, berichteten, dass die Besitzer das Fohlen absichtlich zurück gelassen hatten, da es die Mutterstute nur von der Arbeit abhalten würde. Derartige Erklärungen sind einfach unfassbar, aber zum Nachdenken war jetzt keine Zeit. Ich nahm es mit auf die Rückbank und hielt es im Arm. Roxana regelte die Formalitäten auf dem Polizeirevier und Gregor suchte ein Babyfläschen sowie Glucose und fettarme Kuhmilch. Hier kann man eben nicht "einfach" mal Fohlenstartermilch kaufen. Nach Recherchen mischten wir schließlich eine Ersatzmilch an und wärmten das Fläschchen auf. Die Fahrt ins Tierheim zog sich, die Herzfrequenz sank.

Als wir angekommen waren, legten wir sofort einen Venenzugang um die Dehydratation auszugleichen, allerdings waren kaum Infusionslösungen vorhanden. Erneut fuhr Gregor los um eine Apotheke zu suchen, wir blieben zurück und überwachten unser Fohlen. Noch mussten wir die Milch streng portionieren um es nicht sofort zu überfüttern.

Langsam wurde es fitter und am Abend erkundete es schon munter seinen Paddock auf der Isolierstation. Ich war voller Fohlenurin, Milch, Schweiss und gefühlte 1000 Mücken stachen mich, aber ich war der glücklichste Mensch dieser Welt, weil ich fest überzeugt war, dass das kleine Fohlen es schaffen wird! Einen Namen hat es auch schon bekommen - es heißt Gregor, wie unser Projektleiter.

Einsatz in Harghita

Die zweite Woche arbeiteten wir in der Region um Odorheiu. Dankbar über das etwas kühlere Klima und die Gastfreundschaft unserer Kontaktperson Frauke, einer deutschen Auswanderin, besuchten wir unterschiedliche Pferdebesitzer und angehende Schmiede bei ihrer Arbeit. Allgemein waren wir sehr erleichtert, meist gut genährte Pferde zu sehen und generell auch einen freundlicheren Umgangston mit den Tieren zu beobachten. Auch waren deutlich mehr Reiter anzutreffen, die ihr Pferd nur privat nutzen. So konnten wir den Schwerpunkt auf die Ausbildung der Hufbearbeiter und Hufschmiede legen.

Das Reitervolk: Die Szekler

Unsere Gastgeberin lud uns nach Feierabend zu einem kleinen Geschicklichkeits-Turnier inklusive eines musikalisch untermalten Pferdetheaters ein. Neugierig konnten wir uns das natürlich nicht entgehen lassen und freuten uns über die Gelegenheit, viele unterschiedliche Pferde zu sehen. Als Reiter in Deutschland bekommt man von Anfang an ein immenses Regelwerk an Sicherheitsmaßnahmen eingetrichtert, Ausstattungen wie Helm und Rückenprotektor sind üblich, gefolgt von Gamaschen beim Springen, Leuchtdecken und Hufglocken usw? Ebenso gibt es strenge Verhaltensregeln beim Ausreiten. Lustige Erzählungen, wie in Rumänien 50 bis 60 Reiter gemeinsam ausreiten, lassen einen nur sprachlos staunen.

Die Eselmama auf der Alm

Ein besonders tragischer Fall war eine ältere Eselsdame auf einer Alm. Wir nannten sie später Lubirika, was soviel wie "mein Schatz" bedeutet. Freunde unserer Gastgeberin berichteten von einem hochgradig lahmen und verwahrlosten Esel auf einem Bergrücken, unerreichbar für unseren Transporter. Nach einigen Telefonaten hatten wir die Zustimmung des Besitzers, dass wir ihr helfen dürften, und einen kompetenten Kollegen von der Bergwacht mit seinem Geländewagen gefunden. Während wir noch unsere Ausrüstung einpackten, diskutierten wir die besten Fang- und Fixationsmethoden bei einem vermutlich wilden Esel? Aber wir hatten uns gründlich getäuscht. Als wir ankamen, blickte sie uns freundlich entgegen. Wir durften sie streicheln und überall berühren und das Halfter anlegen. Ob andere Dorfbewohner sie ab und zu streicheln? Vielleicht war sie auch einfach dankbar über die liebevolle Zuwendung, denn während der ganzen Hufbearbeitung stand sie lehrbuchmäßig brav da. So mancher Esel in Deutschland sollte sich an ihr ein Vorbild nehmen!

Ihre Hufe waren in einem schrecklichen Zustand. Da sie nur auf Grasweiden steht und deswegen keinen Abrieb der Hufwand hat, ist diese an manchen Stellen fast 10 Zentimeter zu lang gewesen und hat deswegen die Form und damit die Bewegungsdynamik vollkommen negativ verändert. Erschwerend kam hinzu, dass sie Übergewicht hatte und auch einige Reheringe an der Hufwand sowie eine verbreiterte weiße Linie auf der Hufsohle auf eine vergangene Reheerkrankung hindeuteten. Der Hirte der Alm war mittlerweile zu uns gestoßen, mitsamt seiner Familie, seinem Rudel weißer großer Hütehunden und vielen Milchrindern. Alle Hunde beobachteten uns freundlich und legten sich ins Gras. Einige der mutigen Welpen kamen mit ihren aufgeblähten Bäuchen neugierig auf uns zu getapst, auch die junge dünne Mutter näherte sich und wedelte vorsichtig mit der Rute. Sie traute sich kaum mich überhaupt anzuschauen. Ich setzte mich ins Gras und wartete ein bisschen. Gerade als sie mit ihrer Nasenspitze meine Hand berührte, schrie der Hirte sie an und jagte seine Hunde fort. Er erklärte, dass dies wilde und gefährliche Hütehunde seien, die sofort beißen und er mich nur beschützen wollte.

Ich sagte nichts, weil niemand gerade Zeit hatte um zu übersetzen, weil der Hirte deutliche Spuren seines chronischen Alkoholmissbrauchs zeigte, weil es keine diplomatische Erklärung gab warum ich tausendmal lieber meine Zeit mit diesen "gefährlichen Hunden" verbringen möchte anstatt mit deren "Besitzern", weil es unsagbar traurig war in ihren Augen den Durst nach Liebe zu sehen und zu wissen, das sie hier keine Zuwendung bekommen werden. Die Kinder beobachteten uns fasziniert, vor allem staunten sie über meine große Kamera. Was sie wohl denken? Gehen sie zur Schule? Was für Berufsaussichten haben sie? Beschämt über mein eigenes Misstrauen schloss ich beiläufig das Auto ab.

Unser Esel-Schätzchen hatte entdeckt, wie gut unsere Kräuterleckerli schmecken. Ohne Hektik frass sie aus meiner Hand. Nach der Bearbeitung der Hufe lief sie wesentlich besser, aber noch nicht ganz lahmfrei. Eigentlich müsste sie auf eine Magerwiese gebracht werden, bräuchte einige Tage sicherlich ein entzündungshemmendes Schmerzmittel und eigentlich sollten wir die Hufe röntgen um eine Hufbeinabsenkung rechtzeitig zu erkennen. Eigentlich? Es gibt immer noch mehr, was wir tun sollten und mehr, wie wir helfen könnten, aber nicht immer durften wir.

Mit einem lokalen Hufbearbeiter besprachen wir die Lage und beauftragten ihn, alle 6 Wochen nach Lubirika zu schauen und die Hufe zu bearbeiten. Dank einer privaten Spenderin aus Deutschland können wir so wenigsten acht Monate lang Lubirika eine Hufbearbeitung schenken. Während ich zurück zum Auto ging, machte sie einige Schritte in meine Richtung. Ich wusste, wir würden gute Freunde werden.

Als wir gerade unser Werkzeug einpackten und gehen wollten, zeigte der Hirte uns noch eine hochgradig lahme Kuh und bat um Hilfe. Wir sahen uns die Klaue an und entdeckten einen schmerzhaften Abszess, den wir ausschneiden konnten. Somit wurde der Schmerz unmittelbar genommen und die Kuh konnte ihre Klaue wieder belasten. Beim Losfahren sah ich, wie der Hirte die Hunde mit eingeweichten Rübenschnitzeln und Knochenabfällen fütterte. Kurz dachte ich an die ganzen Kurse und Fortbildungen in Futtermittelkunde, Exceltabellen von Micro- und Macronährstoffen, Spurenelemente, Calzium-Phoshpatverhältnis uvm. und schwieg. Der Hirte setzte sich vor seine Hütte, ein Holz und Plastikkonstrukt von zwei Quadratmetern. Noch war seine Schnapsflasche nicht leer. Was für Menschen wären wir, wenn wir unter solchen Umständen leben müssten?

Welpe in einer Plastiktüte

Am letzten Tag holten wir einen kleinen Welpen aus einem Nachbardorf ab. Sie war dort in einer Plastiktüte gefunden worden. Von ihren Wurfgeschwistern und ihrer Mutter weit und breit keine Spur. Ihr Bauch war aufgebläht und wir wussten nicht, wie lange sie schon nichts mehr zu fressen bekommen hatte. In ihrem Fell wimmelte es nur so von Flöhen und anderem Ungeziefer. Während der Autofahrt war sie ruhig, zu ruhig? Aber als sie Zuhause dann das Nassfutter entdeckte, blühte sie regelrecht auf. Am nächsten Tag machte sie lautstark klar, wo sie war und was sie möchte. Ich schaute ihr beim Fressen zu und lächelte heimlich vor mich hin. Aber bald holte mich die Realität ein: Was nun? Ungeimpft konnten wir sie nicht mitnehmen, das nächste Tierheim war mit Parvovirose infiziert, meist tödlich für einen geschwächten Welpen. Unsere Gastgeber hatten bereits vier Hunde und konnten nicht noch einen fünften Hund aufnehmen auf Dauer. Sie braucht Medikamente, einen Microchip, einen EU-Heimtierausweis und eine Grundimmunisierung. Alles kostet Geld. Ich fragte nach, ob nicht die Gemeinde eine zuständige Stelle habe, die wir kontaktieren könnten und die die Kosten übernimmt. Leider gibt es hier soetwas nicht. Vorerst bleibt sie nun bei unseren Gastgebern. Hoffentlich finden wir von Deutschland aus eine langfristige Lösung, vielleicht sogar eine Patenfamilie.

Abschied

Die zwei Wochen waren vorbei, wir verabschieden uns von neuen Freunden mit dem Versprechen, dass wir wiederkommen werden, ohne zu wissen, ob wir dieses Versprechen halten können. Menschen, die nach wirtschaftlichen Maßstäben nichts haben, nahmen uns auf und teilten alles mit uns, nur aus der Hoffnung heraus, gemeinsam etwas Gutes für die Tiere zu vollbringen. Wie würde die Welt aussehen, wenn Großzügigkeit und Empathie mehr als finanzieller Erfolg zählen würde? Wieviel könnten wir gemeinsam verbessern?

Zu den melancholischen Streicherklängen von Klezmermusik im Radio fuhren wir 1400 Kilometer nach Hause. Träumten von euphorischen, utopischen Plänen wie Bestandskontrollen mit Bodyconditionscore, Impfmanagment, Ekto- und Endoparasitenprophylaxe, einem (legalen und angemeldeten) Tierklinik-Transporter mit allem was das Herz begehrt, Fortbilungszertifikate für Hufschmiede, und natürlich unzählige Hufeisen mit teuren Einlagen um eine bessere Stoßdämpfung zu erreichen, nicht zu vergessen die regelmäßige Physiotherapie und Geschirrkontrolle der Arbeitspferde.

Nicht immer will man realistisch sein, will ausrechnen wie wenig Pferden wir insgesamt helfen konnten und wievielen (noch) nicht? Und am Ende steht dann die Frage: Hat es sich gelohnt? Haben wir etwas erreicht? Sollen und können wir es wieder tun? Wir haben keine Gewähr, dass die verschenkten Trensen nicht weiterverkauft werden, dass die Winterdecken nicht durch den Wagenfahrer selbst verwendet werden oder dass die ausgebildeten Hufbearbeiter und Hufschmiede ihr Wissen einsetzen können und weitergeben dürfen? Ob wir die gleichen Pferde nächstes Jahr wiedersehen würden oder ob sie schon aus dem Einsatz genommen wurden und als Schlachtpferde weiterverkauft wurden?

Das alles kann ich nicht beantworten, aber ich weiß, dass für mich die Hoffnung zählt mit kleinen Gesten die Welt zu ändern. Jedes einzelne Pferd, das an diesem Tag endlich die vom harten Boden schmerzenden Hufe bearbeitet bekommt und anschließend lahmfrei gehen kann, das keinen Metalldraht mehr im Mund haben muss sondern eine mindestens 12mm starke Wassertrense, das ein richtiges Halfter trägt und kein Seil/Kettenkonstrukt mit scharfkantigen Verschlüssen, das zählt! Niemand kann die große Welt an einem Tag retten, aber wir können die kleine Welt eines kleinen rumänischen Arbeitspferdes in diesem einen Moment verändern und glauben natürlich, dass wir auch nachhaltig positive Auswirkungen erreicht haben.

Kurz nachdem wir zurück in Deutschland sind, erfahren wir, dass das Nachbardorf von Rasova bereits angefragt hat, wann wir auch zu Ihnen kommen. Die rumänischen Abschiedsworte "La revedere!" klingen uns noch in den Ohren - bedeuten Sie doch übersetzt "Wir werden uns wiedersehen!".