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Ein kleines Tricolorkätzchen hatte es am stärksten getroffen - ihr Auge quoll regelrecht aus ihrer Augenhöhle. Welch Schmerzen sie aushielt.

Dr. Melanie Stehle

Larisa - Katzenschnupfen

Von Dr. Melanie Stehle, Tierärztin

Da sitze ich nun nach sieben Operationstagen auf dem Boden meines Hotelzimmers. Vor mir ein kleines Wesen mit vielleicht gerade einmal 500 Gramm Körpergewicht. Wir sehen uns gegenseitig an. Sehen ist ein weit gefasster Begriff, denn meiner kleinen Mitbewohnerin musste ich gestern als allerletzte Patientin das heraushängende, von Katzenschnupfen zerstörte Auge entfernen. Und mit ihrem gesunden Auge kann die kleine Prinzessin aufgrund ihres kindlichen Alters gerade einmal Umrisse erkennen.

Seit Jahren nehmen wir uns vor, während den Kastrationsaktionen auch etwas mehr Zeit für „außerhalb des OPs“ einzuplanen. Seit Jahren beobachten wir, dass wir dies bisher nicht wirklich umgesetzt haben. Zu groß ist das Leid und die Nachfrage nach Kastrationen. Immer wieder ertappe ich mich, wie ich morgens oder abends aus dem Fenster des Autos starre und gerne die Landschaft, den nächsten Berg oder ein altes Dorf erkunden würde. Doch schon so manches Mal bereute ich einen Abstecher unserer Route Unterkunft-Operationsraum. Denn dies bedeutete meist, dass wir einen neuen Patienten in unserer Verantwortung hatten oder gesehenes Leid kaum ertragen konnten.
Dieses Mal war unser Abstecher ein nahe gelegener Supermarkt. Während meine Mädels  - also meine Goldfische - Einkäufe erledigten, wagte ich einen Blick in eine Seitenstraße, wo wir am Vortag schon einmal ein paar Katzenbabys entdeckt hatten. Ich schlich mich vorsichtig heran, um niemanden zu erschrecken. Plötzlich jedoch war ich diejenige, die erschrak, denn ich sah nur ein Bündel Fell, das ich anfangs nicht richtig zuordnen konnte. Mein Teleobjektiv allerdings konnte schnell Klarheit in mein Gedankenwirrwarr bringen - es war eine Katzenmama mit all ihren Katzenkindern. Eng umschlungen. Eigentlich eine herzliche, warme Aura. Die Kleinen saugten genüsslich an ihren Zitzen, die Mutter ließ dies in ihrer Rolle als fürsorgliche Mama zu. Es dauerte einen Moment, bis mich die Mutter bemerkte und den Kopf hob.

„Sehe ich richtig, dass die Katzenmama eine Ohrkerbe von uns hat?“
„Ja, eindeutig, denn dort drüben stehen noch Katzenboxen mit den Beschriftungen von uns und ich erkenne die Katze auch an ihrer Wunde im Gesicht, die wir gereinigt hatten.“

Doch als auch die Katzenkinder den Blick zu mir wandten, verschwand meine Freude. Nahezu alle Kätzchen hatten sich mit Katzenschnupfen infiziert und einige Augen waren in erbärmlichem Zustand. Insgesamt acht Katzenkinder waren an dieser Stelle, wovon sieben mit Augenproblemen zu kämpfen hatten. Ein kleines Tricolorkätzchen hatte es am stärksten getroffen - ihr Auge quoll regelrecht aus ihrer Augenhöhle. Welch Schmerzen sie aushielt.

Es musste etwas geschehen, so konnten wir unmöglich weiterfahren. Ich klingelte beim nahegelegenen Haus - doch niemand reagierte. Da es unser letzter Tag war, mussten wir eine schnelle Entscheidung treffen - und zwar zugunsten der kleinen Prinzessin. Wir nahmen sie mit und kümmerten uns fortan um sie. Ihr Auge wurde versorgt und die Nachsorge geregelt.

Und noch während sich mein kleines Katzenkind die letzten Milchreste von den Schnurrbarthaaren ableckte, kugelte sie sich auf meinen Beinen ein und schenkte mir ein leises Schnurren. Eine schönere Belohnung hätte sie mir nicht geben können. Ich danke Dir, mein kleines Katzenkind!
Deine Melanie