Skip to main content Skip to page footer

Kreta - Kettenhunde

Ein Bericht von Dr. Melanie Stehle | Tierärztin

Seit mehreren Jahren führen wir für die Gemeinde von Rethymno Kastrationsaktionen durch. Neben der Stadt selbst gehören zum Distrikt Rethymno circa 100 Dörfer. Die uns zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten befinden sich in einem Bergdorf, das wir durch ein idyllisch gelegenes, grünes Tal erreichen können. Seit Langem schweifte mein Blick zu einer wunderschön gelegenen Kapelle auf der anderen Talseite. Immer wieder teilte ich meinen Mitfahrerinnen mit, wie gerne ich dort einmal hinwandern würde. Auch heute sollte es so sein, dass diese Gedanken in mir aufkeimten. Bisher operierten wir stets bis zum Einbruch der Dunkelheit, sodass an eine gemütliche Wanderung mit schöner Sicht nie zu denken war. Heute sollte es anders sein. Ein früher Feierabend könnte möglich werden, da nicht alle Katzen in die Fallen unserer Fänger gingen, und wir ergriffen die Gelegenheit, unseren Praktikanten die Einzigartigkeit der kretischen Natur zu zeigen.

Julia, Christina, Darius und ich folgten wenige Meter einer Straße, von der an einem Schild ein gewundener Weg abzweigte, mit dem Hinweis auf eine kleine Kapelle. Wir waren noch keine 500 Meter weit gegangen, da bereuten wir unseren Entschluss. Die Freude auf die Natur war durch den aufgetauchten Anblick innerhalb weniger Sekunden verschwunden.
Eine Hündin drückte sich voller Angst an einen Bretterverschlag. Sie zitterte wie Espenlaub, als sie uns sah und drehte beschwichtigend ihren Kopf zur Seite.

Was hatte sie bisher wohl schon alles erlebt? Und vor allem die immer wieder auftauchende Frage: warum war sie hier angebunden? Weit und breit gab es nichts zu bewachen als einen Feldweg. Ein umgekippter Napf und vergammelte Brotreste zeugten von einer allgegenwärtigen Gleichgültigkeit der „Besitzer“, wie sie zu Tausenden auf Kreta vorzufinden sind. Die Kette um ihren Hals unterstrich das Sklavendasein. Wer erwartet auf einem Weg zu einer Kapelle, die für eine Religion der Nächstenliebe steht, ein Mitgeschöpf, dessen Leben physisch kaum mehr mit Füßen hätte getreten werden können? Angetan einem sensiblen Geschöpf, dessen Psyche so hochgradig misshandelt wurde, dass es jedem Hundefreund die Kehle zuschnürt. Selbst beruhigende Worte schienen ihr nicht die Angst zu nehmen.

Ich sah in die Gesichter unserer Praktikanten, auch ihnen war die anfängliche Freude an unserer Wanderung vergangen. Fragen waren aufgekommen und ich versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich sah und merkte, dass wir alle den gleichen Gedanken hatten: wie können wir dieser Hündin helfen? „Wir machen sie einfach los und nehmen sie mit“ war die erste Reaktion. Doch wer Kreta kennt, weiß, dass dies nicht die dauerhafte Lösung ist. Der Besitzer wird den nächsten Hund an dieser Stelle anketten, das hat uns die Erfahrung gelehrt.

Die nachhaltige Lösung muss eine andere sein. Tiefgründiger. Ein Verhaltensmuster muss sich ändern. Eine Einstellung zu Mitgeschöpfen, zu fühlenden Lebewesen. Das ist kein Prozess von heute auf morgen. Es ist ein Prozess, der Jahre, wenn nicht sogar über Generationen vonstattengehen wird. Ratschläge von uns „Ausländern“, die sich in die Angelegenheiten der Einheimischen einmischen, sind nicht wirklich willkommen. Milde ausgedrückt. Der erfolgversprechendste Ansatz muss bei den Kindern beginnen. Tierschutz fängt in den Köpfen der Kinder an. Sie beginnen, das Handeln der Erwachsenen zu hinterfragen. Sie sind diejenigen, die ihre Eltern zum Überdenken ihres Handelns führen können.

Und noch während wir weitergingen und traurig um Lösungen ringen, ertönt ein leises Wimmern. Ein Klirren einer Kette, die immer und immer wieder an Steinen aufschlägt. Vor uns wird ein weiterer Bretterverschlag sichtbar, schon lange vor uns nahm der nächste Kettenhund unsere Gespräche wahr und im Gegensatz zum ersten, schien der zweite ein ganz anderes Gemüt zu haben: Es war ein Welpe, der sich unbändig freute, dass Menschen seinen Weg kreuzten. Wobei sein „Weg“ hier wirklich das winzige Stück Weg ist, das er „bewacht“. Fünf Meter vor und zurück. Er sprang und hüpfte, bis die Kette immer wieder sein Vorhaben bremste und ein Klirren auf den Steinen auslöste. Er warf sich auf den Boden, pieselte vor lauter Freude unter sich und wollte nur eines: eine Streicheleinheit erhaschen.

Als wenn die erste Kettenhündin nicht schon genug Traurigkeit und Ungerechtigkeit widerspiegelte, so führte diese zweite Begegnung endgültig zu Gefühlschaos. Der kleine Welpe schien noch nicht lange dort zu sein. Noch war er lebensfroh, noch war seine Seele nicht gebrochen. Unsere Traurigkeit ließen wir ihm nicht anmerken, wir spielten und kuschelten mit diesem Hundekind.
Ein paar Meter weiter war nun die kleine Kapelle sichtbar. Sie hatte ihren idyllischen Reiz komplett verloren. Sie selbst konnte nichts dafür, es war die traurige Atmosphäre, die den Weg zu ihr umgab. All die über Jahre aufgebaute, mir eingebildete Idylle war eine reine Illusion, die innerhalb weniger Minuten zerplatzt war. Dies war kein schöner Ort mehr. Wut kam in mir auf, eine Wut gegen unbekannte Menschen, auf deren Gleichgültigkeit, auf deren fehlende Empathie anderen Mitgeschöpfen gegenüber und über deren Egoismus.

Eine griechische Freundin erzählte mir einst, dass es Tradition wäre, Hunde innerhalb der Familie weiter zu verschenken. Egal, ob gewollt oder nicht. Eine Weitergabe gehöre sich nicht, sodass deshalb auch viele Hunde irgendwo im Nirgendwo angekettet ihr Dasein fristen müssen. Da stellt sich mir die Gegenfrage, ob es sich gehört, ein Lebewesen so zu behandeln?
Während wir mit gutem Zureden und einem Versprechen, wiederzukommen, dem Welpen den Rücken zukehren, beginnt er zu Wimmern. Ein Wimmern, das kaum zu ertragen ist. Ein Wimmern, das uns lähmt und mit unsagbarer Leere, Hilflosigkeit und Wut erfüllen lässt. Ich bereue, den OP-Tisch frühzeitig verlassen zu haben. Ein Kampf gegen Ungerechtigkeit zu führen ist schwierig. Zumal sich die meisten Beteiligten stets im Recht sehen.

Meine Hoffnung liegt bei den vielen engagierten, neu dazugekommenen jungen Frauen aus Rethymno, die ALLES für eine Verbesserung der Tiere in ihrer Region geben. Die tagtäglich mit diesen Anblicken konfrontiert sind. Sie fangen nächtelang Katzen, sie führen viele Gespräche und überzeugen Mitmenschen, die Tiere kastrieren zu lassen. Hunde und Katzen werden nur kastriert abgegeben und ein Hund, der trotz Vereinbarung an der Kette endet, wird trotz bevorstehendem Ärger wieder vom Tierschutzverein zurückgeholt. Die Damen sind stark, sie kämpfen, sie geben nicht auf und dafür danke ich ihnen von Herzen! Über diese beiden Hunde informierten wir die Tierschützerinnen. Die ersten Versuche, mit den „Besitzern“ Kontakt aufzunehmen, scheiterten mit Ignoranz. Doch wir werden nicht resignieren, das haben wir den beiden insgeheim bei jedem Wimmern und bei jedem Schritt, den wir uns von ihnen entfernten, versprochen!
Ihre Melanie Stehle

Helfen

Der Förderverein Arche Noah Kreta e.V. ist ein tiermedizinisch orientierter Tierschutzverein, dessen Schwerpunkt die Kastration von Straßentieren ist. Das Team besteht aus mehreren Tierärztinnen und Helferinnen, die international Kastrationsaktionen durchführen.
Jeder bekommt eine Chance auf ein besseres Leben! All das wird nur möglich durch Ihre Spende!

Jetzt spenden!

In vielen unserer Projekte werden regelmässig Helfer benötigt. Manchmal brauchen wir tiermedizinisch vorgebildete Unterstützung. Manchmal einfach Menschen, die die Tiere vor und nach der OP betreuen, Boxen waschen und anpacken, wo Hilfe benötigt wird. Wenn Ihr der Meinung seid, dass wir Euch kennenlernen sollten, sendet uns eine Email an   jobs@tieraerztepool.de.
Oft aber kann jeder einfach helfen - so zum Beispiel bei den Kastrationsprojekten auf Rhodos oder in Epanomi. Hier werden Leute benötigt, die Katzen vom und zum Fangort fahren, Fallen und Boxen reinigen usw.

In den Helfergruppen auf Facebook könnt Ihr Euch vernetzen:

  Flying Cats e.V. - Kastrationsprojekt Rhodos - Helfer

  ACE - Tiere in Not (Epanomi)

TierInsel Umut Evi e.V.: Kontaktaufnahme über tierinsel-tuerkei-vorstand@t-online.de